Psychische Gesundheit im Kindes- und Jugendalter
Zahlreiche nationale und internationale Studien zeigen, dass etwa jedes vierte bis fünfte Kind bzw. jede:r vierte bis fünfte Jugendliche von psychischen Problemen betroffen ist (z.B.: Hölling et al., 2014; Ihle & Esser, 2002; Kieling et al., 2011; Merikangas et al., 2009). Angesichts multipler gesellschaftlicher globaler Krisen, wie der COVID-19-Pandemie, der Klimakrise sowie kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt, sind Kinder und Jugendlichen mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert (z.B.: Hickman et al., 2021; Ravens-Sieberer et al., 2023; Wolf & Schmitz, 2023). Hinzu kommt ein reformbedürftiges, überlastetes deutsches Schulsystem, in welchem Schüler:innen Unterrichtsausfall, Lehrkraftmangel sowie Leistungs- und Prüfungsdruck standhalten müssen.
Die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen erfordert besondere Aufmerksamkeit, da in Kindheit und Jugend der Grundstein für die lebenslange psychische Gesundheit gelegt wird. Man geht davon aus, dass etwa die Hälfte aller psychischen Störungen bis zum Jugendalter beginnen, drei Viertel vor einem Alter von 25 Jahren (z.B.: Kessler et al., 2007; Kessler et al., 2005). Trotz dieses Wissens werden der Schutz der psychischen Gesundheit und die Versorgung von psychischen Problemen in Kindheit und Jugend nach wie vor häufig vernachlässigt, obwohl ein frühzeitiges Eingreifen, bspw. mithilfe von Psychotherapie, helfen kann, psychischen Problemen im Erwachsenenalter vorzubeugen und psychische Wohlbefinden und gesellschaftliche Teilhabe und Produktivität über die gesamte Lebensspanne zu schützen.
Schule und psychische Gesundheit
Bei der Versorgung von psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen kann Schule als wichtiger Entwicklungs- und Lebensraum von Heranwachsenden eine bedeutende Rolle einnehmen. Zum einen verbringen Heranwachsende einen großen Teil ihrer Zeit in Bildungseinrichtungen, zum anderen bestehen kontinuierliche Beziehungen zwischen Heranwachsenden und Lehrkräften über Jahre hinweg. Dies bietet gute Voraussetzungen, psychische Störungen frühzeitig zu erkennen und Kinder und Jugendlichen geeignete Unterstützungs- und Hilfsangebote, wie z. B. psychotherapeutische Behandlungen, zu vermitteln. Trotz dieser Möglichkeiten und trotz des oben beschriebenen deutlich gestiegenen Bedarfes gibt es jedoch Hinweise, dass die psychosoziale Versorgung an Schulen in Deutschland unverändert und unzureichend stattfindet.
So ergab eine repräsentative Umfrage der Robert Bosch Stiftung, dass circa ein Drittel der befragten Lehrkräfte das Fehlen von Beratungsangeboten ausgebildeter Fachkräfte angab und circa ein Viertel schilderte fehlende Angebote durch Schulsozialarbeit (Robert Bosch Stiftung, 2021). Im Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung gaben nur circa zwei Drittel der befragten Schulleitungen an, über Angebote der Schulsozialarbeit zu verfügen, und nur 35% schilderten verfügbare Angebote der Schulpsychologie. Von diesen gaben wiederum nur circa die Hälfte an, dass die verfügbaren Angebote den Bedarf abdecken (Robert Bosch Stiftung, 2023). Diese ersten Umfrageergebnisse lassen vermuten, dass die psychosoziale Versorgung an Schulen als unzureichend eingeschätzt werden kann. Umfassende wissenschaftliche Daten zu detaillierten Versorgungsstrukturen und -prozessen, die die aktuelle bundesweite Versorgungslage von Kindern und Jugendlichen an Schulen abbilden, fehlen jedoch bislang.
Teilprojekt Versorgungsmonitor an Schulen
Ziele
Ziel der Studie ist es, die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen an Schulen in Deutschland erstmalig bundesweit, repräsentativ und über einen Zeitraum von drei Jahren umfassend zu untersuchen. Dies ermöglicht es, bundesweite und regionale Versorgungsbedarfe zu ermitteln sowie die Entwicklung der Versorgungslage über die Zeit hinweg abzubilden. Zudem wird in unserem Versorgungsmonitor Schulen das Modellvorhaben des BMFSFJ (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) „Mental Health Coaches an Schulen“ evaluiert. Dazu werden Schulleitungen zu ihren Erfahrungen und dem Nutzen des Programms befragt. Weitere Informationen zum Modellvorhaben Mental Health Coaches an Schulen Link.
Methoden
Über einen Zeitraum von drei Jahren sollen repräsentative und zufällige Stichproben von Schulleitungen jährlich bundesweit mittels einer anonymen Online-Befragung zur psychosozialen Versorgungslage an ihrer Schule befragt werden. Die Rekrutierung der Schulleitungen erfolgt zufällig aus einer deutschlandweiten Schuldatenbank allgemeinbildender Schulen in öffentlicher Trägerschaft. Zentrale Inhalte der Online-Umfrage umfassen psychosoziale Versorgungsstrukturen, -prozesse, -barrieren sowie Kinderschutzmaßnahmen. Zudem werden wahrgenommene Belastungen von Schülerinnen und Schülern sowie relevante Belastungsfaktoren aus Sicht der Schulleitungen erfasst. Kommuniziert werden sollen die Ergebnisse im Hinblick auf regionale sowie überregionale psychosoziale Versorgungsbedarfe an Schulen, Handlungsfelder sowie -vorschläge für politische Entscheidungsträger mit dem Ziel einer langfristigen verbesserten Versorgung von psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen.
Weiterführende wissenschaftliche Veröffentlichungen
- Hickman, C., Marks, E., Pihkala, P., Clayton, S., Lewandowski, R. E., Mayall, E. E., Wray, B., Mellor, C. & van Susteren, L. (2021). Climate anxiety in children and young people and their beliefs about government responses to climate change: a global survey. The Lancet Planetary Health, 5(12), e863-e873. Link
- Hölling, H., Schlack, R., Petermann, F., Ravens-Sieberer, U. & Mauz, E. (2014). Psychische Auffälligkeiten und psychosoziale Beeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren in Deutschland – Prävalenz und zeitliche Trends zu 2 Erhebungszeitpunkten (2003–2006 und 2009–2012) : Ergebnisse der KiGGS-Studie – Erste Folgebefragung (KiGGS Welle 1) [Psychopathological problems and psychosocial impairment in children and adolescents aged 3–17 years in the German population: prevalence and time trends at two measurement points (2003–2006 and 2009–2012): results of the KiGGS study: first follow-up (KiGGS Wave 1)] (Bd. 57). Robert Koch-Institut, Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung. Link, Link
- Ihle, W. & Esser, G. (2002). Epidemiologie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter. Psychologische Rundschau, 53(4), 159–169. Link
- Kessler, R. C., Amminger, G. P., Aguilar-Gaxiola, S., Alonso, J., Lee, S. & Ustün, T. B. (2007). Age of onset of mental disorders: a review of recent literature. Current Opinion in Psychiatry, 20(4), 359–364. Link
- Kessler, R. C., Berglund, P., Demler, O., Jin, R., Merikangas, K. R. & Walters, E. E. (2005). Lifetime prevalence and age-of-onset distributions of DSM-IV disorders in the National Comorbidity Survey Replication. Archives of general psychiatry, 62(6), 593–602. Link
- Kieling, C., Baker-Henningham, H., Belfer, M., Conti, G., Ertem, I., Omigbodun, O., Rohde, L. A., Srinath, S., Ulkuer, N. & Rahman, A. (2011). Child and adolescent mental health worldwide: evidence for action. The Lancet, 378(9801), 1515–1525. Link
- Merikangas, K. R., Nakamura, E. F. & Kessler, R. C. (2009). Epidemiology of mental disorders in children and adolescents. Dialogues in clinical neuroscience, 11(1), 7–20.
- Ravens-Sieberer, U., Devine, J., Napp, A.‑K., Kaman, A., Saftig, L., Gilbert, M., Reiß, F., Löffler, C., Simon, A. M., Hurrelmann, K., Walper, S., Schlack, R., Hölling, H., Wieler, L. H. & Erhart, M. (2023). Three years into the pandemic: results of the longitudinal German COPSY study on youth mental health and health-related quality of life. Frontiers in Public Health, 11, Artikel 1129073, 1129073. Link
- Robert Bosch Stiftung (2021): Das Deutsche Schulbarometer Spezial: Zweite Folgebefragung. Ergebnisse einer Befragung von Lehrerinnen und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen im Auftrag der Robert Bosch Stiftung in Kooperation mit der ZEIT. Durchgeführt von forsa Politik- und Sozialforschung GmbH. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung.
- Robert Bosch Stiftung (2023): Das Deutsche Schulbarometer: Aktuelle Herausforderungen aus Sicht von Schulleitungen. Ergebnisse einer Befragung von Schulleitungen allgemein- und berufsbildender Schulen. Stuttgart: Robert Bosch Stiftung.
- Wolf, K. & Schmitz, J. (2023). Scoping review: longitudinal effects of the COVID-19 pandemic on child and adolescent mental health. European Child & Adolescent Psychiatry. Vorab-Onlinepublikation. Link